Offene Bauweise – was heißt das?
Tunnelbau ist nicht gleich Tunnelbau: Ist die Überdeckung des Tunnels zu gering und der Platz vorhanden, kommt die sogenannte offene Bauweise zum Einsatz. Von einer zu geringen Überdeckung spricht man (nach einer Faustformel), wenn der Abstand zwischen Tunneldecke, auch Firste genannt, und Geländeoberkante geringer ist als der Durchmesser der Tunnelbohrmaschine. Bei der offenen Bauweise wird eine große Baugrube ausgehoben und die Arbeiten werden von oben ausgeführt. Sind die Straßen schmal oder die Flächen über dem zukünftigen Tunnel bebaut, kann der Tunnel nur in geschlossener Bauweise, zum Beispiel mithilfe einer Tunnelbohrmaschine (TBM), hergestellt werden.
Im Fall der Verlängerung der Stadtbahnlinie U5 ins Europaviertel kommen beide Bauweisen zum Einsatz. Der Tunnelabschnitt, der die unterirdische Station „Güterplatz“ durchquert, wird größtenteils unter bestehender Bebauung mit einer Tunnelbohrmaschine hergestellt. Der Tunnel zwischen der Startbaugrube (Höhe Warschauer Straße) und der Rampe (Höhe Dubliner Straße), die die Gleise an die Oberfläche führt, wird in offener Bauweise errichtet.
Die unterirdische Station „Güterplatz“ und der Notausstieg am Platz der Republik werden ebenfalls in offener Bauweise hergestellt. Der Tunnel Europagarten wurde auch in offener Bauweise gebaut und bereits 2016 fertiggestellt.
Ein Bauwerk im Bauwerk: So wird der Tunnel in offener Bauweise hergestellt
Bei der offenen Bauweise wird eine große Baugrube ausgehoben und die Arbeiten werden von oben ausgeführt. Um die Breite der Baugrube so gering wie möglich zu halten und um eine wasserdichte und verformungsarme Baugrube zu schaffen, werden zuerst senkrechte Baugrubenwände errichtet, z.B. sogenannte Schlitz-, Spund- oder Bohrpfahlwände. Anschließend kann der Bereich zwischen den Verbauwänden mit dem Bagger sicher bis zur Sohle ausgehoben werden. Um dem Druck von außen entgegenzuwirken, werden dabei sukzessiv Baugrubenaussteifungen eingebaut. Diese geben der Baugrube Stabilität, bis das endgültige Bauwerk fertiggestellt ist.
Anschließend wird der eigentliche Tunnel in dieser Baugrube abschnittsweise als sogenanntes Rahmenbauwerk aus Stahlbeton errichtet. Das rechteckige Bauwerk besteht aus einem Fundament, der sogenannten Sohle, den Seitenwänden und der Tunneldecke. Alle Bestandteile des späteren Tunnelbauwerks – Sohle, Seitenwände und Decke – werden blockweise in jeweils drei Schritten errichtet: Für Sohle und Decke wird zuerst die Schalung für den Block hergestellt und dann der Bewehrungsstahl eingebaut. Für die Seitenwände gilt, dass zuerst der Bewehrungsstahl eingebaut und dann die Schalung hergestellt wird. Ist ein Block fertig bewehrt und geschalt, wird er betoniert.
Bei der Schalung handelt es sich sozusagen um die Gussform für den Beton, und die Bewehrung aus Stahl erhöht die Tragfähigkeit des Betons. Um die Decke abschnittsweise einbauen zu können, wird ein sogenannter Schaltisch als Untergrund eingesetzt. Auf diesem „Tisch“ wird die Schalung aufgebaut und die Bewehrung eingebaut, bevor betoniert werden kann. Ist ein Deckensegment ausgehärtet, wird der Schaltisch abgebaut und im Bereich des nächsten Blocks wieder aufgebaut.
Für alle Bereiche wird ein wasserundurchlässiger Beton verwendet. Ist das Rahmenbauwerk fertiggestellt, wird die Baugrube wieder verfüllt bzw. der Tunnel überschüttet und an der Oberfläche der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt.
Das Rahmenbauwerk schließt an die maschinell herstellten Tunnelröhren an und verbindet somit den Tunnel geschlossene Bauweise mit dem Tunnel offene Bauweise.
So entsteht ein Tunnel in offener Bauweise
So entsteht die Station Güterplatz
Wo bis vor wenigen Jahren noch eine große Freifläche war, entsteht seit Sommer 2022 mitten in der Stadt eine der tiefsten Baugruben Frankfurts: Zwischen Güterplatz und Frankenallee wird am Güterplatz auf rund 180 Metern Länge die im Mittel 30 Meter breite und 24 Meter tiefe Baugrube für die zukünftige Stadtbahnstation „Güterplatz“ ausgehoben – eine anspruchsvolle Aufgabe. Um eine so große und tiefe Baugrube sicher herstellen zu können, müssen die Ingenieurbauer dem seitlich anstehenden hohen Erd- und Wasserdruck entgegenwirken: Dafür werden im Zuge des Aushubs insgesamt 3 sogenannte Stahlbeton-Aussteifungslagen und abschließend eine Baugrubensohle mit aussteifender Wirkung hergestellt.
Wie geht es weiter, nachdem die Bauwerkssohle hergestellt ist?
Die fertige Bauwerkssohle übernimmt die Aussteifungsaufgabe der dritten Steifenlage, die dann schrittweise von den beiden Stirnseiten beginnend bis zur Baugrubenmitte zurückgebaut werden kann. Im nächsten Schritt werden die Wände des Stationsbauwerks bis zur Unterkante der zweiten Steifenlage bewehrt, geschalt und betoniert. Anschließend wird unterhalb der zweiten Steifenlage eine neue temporäre Steifenlage aus Stahlrohren eingebaut. Die temporären Stahlsteifen, die dann die von außen anstehenden Druckkräfte auf die Wände „umsteifen“, übernehmen die Aufgabe der zweiten Steifenlage. Die zweite Steifenlage kann nun zurückgebaut werden.
Im Anschluss werden die Wände bis zur Endhöhe hergestellt und die Decke betoniert. Wenn diese fertig ist, kann auch die Umsteifungs-Steifenlage aus Stahlrohren wieder demontiert werden. Anschließend wird der Bereich über der Decke wieder verfüllt und dabei die erste Steifenlage abgebrochen. Der Rohbau der späteren Station Güterplatz nimmt nun in den kommenden Jahren immer mehr Gestalt an.
So entsteht die Station Güterplatz (Teil 1)
Welche Bauwerke im Projekt "Stadtbahn Europaviertel" werden in offener Bauweise errichtet?
© Klaus Helbig/SBEV GmbH